Prolog:
Jesus ist richtig sauer. Seine schöne alte Welt geht ein bisschen zu nah am Jordan spazieren.
Schuld sind nicht die Schwulen Muslime, die Venture Katholen und die Zen Faschisten. Nicht die Spaß Terroristen. Nicht die strafunmündigen Kinder des endkapitalistischen Zorns. Und Schuld ist nicht die große Koalition.
Schuld sind – wer sonst? – eure good clean fun rappers von nebenan, die letzten lebenden middle class heroes im Herzen der Euro Scholle. Drei Männer, die die Gewalt(en) unserer Zeit so ernst nehmen, dass sie nur darüber lachen können. Denen ist nichts heilig. Oder alles.
Schiebt es! … bitte! … auf die! … Brote!!!
Doch da ist was faul im Staate Süd-Dänemark. Hört ihr nicht das Tamtam und das Geschrei in Hamburg Altona? Es sind mal wieder unsere drei Helden. Doch wo andere schon kapitulieren, tanzt Gruppe Fettes Brot auf diesem unterirdischen Vulkan, der sich früher Zeitgeist nannte.
Was ist passiert? Noch gar nicht lange ist es her, da stopfte jeder der Drei beim nächtlichen Ausflug in die kollektive Unwirklichkeit (getarnt als „Schwule Mädchen Soundsystem“) seine elf Finger in die Steckdose des Universums. Plötzlich pissen diese Männer gegen Windräder (s. Album Cover) und verletzen die religiösen Gefühle der Energiekonzerne. Verlachen die Klima Deprimisten. Schneiden sich ins eigene Fleisch, um wieder etwas zu spüren von dem ganzen Wahnsinn, wie damals mit 16, 17, als einem alles so klar war, wie später nie wieder.
Begleiten wir sie auf dieser Reise an das Ende der Nacht, in der sich für Fettes Brot so einiges verschoben hat.
Nur so werden wir sehen: Sie sind immer noch die netten Jungs, die wir zu kennen glaubten… aber nicht von nebenan, sondern von ganz weit draussen.
Samstag Abend.
Eine Bushaltestelle. Die jungen Mädchen, die um dich rumstehn, riechen nach Shampoo und Kaugummi. Aus einem Handy plärrt eine fiebrige Musik: „Wir sind jung, wir sind frei, das ist unsere Stadt, wir haben nichts zu verlieren… Lieber verbrennen als erfrieren!“ Du denkst an Neil Young, The Who und Duran Duran. Ein Song, wie eine Schussfahrt durch den Time Tunnel, zurück zu dem 17jährigen Selbst, das man nie aufgehört hat zu träumen. Wild Boys! It’s better to burn out than to fade away!
Sexy, schneidend und doch verletzlich presst eine Kopfstimme Worte hervor, die nach Rebellion schmecken: „Du trägst die Wut auf die Straße, über die ihr wie Hunde hetzt. Du weißt, es lohnt sich zu kämpfen, denn ungerecht bleibt ungerächt.“ Talkin’ bout my Generation.
Weiter. Im Bus. Die Mädchen sind noch da. Eine fragt: „Bettina, kann mein Fernseher schwanger werden?“ Eine andere: „Klar, fuck TV!“ Sie giggeln. Sind so kurze Röcke, so tiefe Einblicke. Es ist Winter!? Du denkst: Das ganze Leben ist eine FKK Quizshow. Und wir sind nur die gaffenden, impotenten Pornodarsteller.
(Notiz: Es ist genug jetzt. Ihr Kinder der Generation Oversexed und Underfucked braucht endlich eine Hymne. Eine Anti-Ode auf die hohlen, hungrigen Körper von Millionen, ein trojanisches Pony zur Wiederverzauberung von Sex und Liebe. Der Slogan: „Bettina, zieh dir bitte etwas an!“ Und ob, der Beat ist von Modeselektor!)
Drei zahme Vorstadtkrokodile steigen zu. Eines der Mädchen hat seit kurzem einen etwas plumpen Verehrer, der seine Nummer auf ihr Handy speichern will. Sie gibt sich gelangweilt, mag lieber Musik hören: Ein Kirmes Rap in moll. Es dauert nicht lange und die braven Jungs himmeln genau dieses Mädchen schüchtern an. Nur sich einmischen, das tun sie nicht. Du denkst: Typisches Rettersyndrom. Große Rehaugen und die Abwesenheit eines Lächelns für den Casanova auf der Linie Nummer 3 = sie muß ja unglücklich sein. (Notiz: Im Film diese Szene mit der großen Miezekatz besetzen, Star des Zirkus Mia. Titel: „Das traurigste Mädchen der ganzen Stadt“. Stimmung: Neon Azur Blau.)
Der Bus rollt gleichmäßig durch die gelernten Straßen. Ein Traum besucht dich: Schlaflos in Salvador de Bahia. Im Auge eines Samba Cyphers. Alle schütteln, was sie haben. Nosso Funk Inferno. Dann Rauchpause. Im Fernsehen eine Doku über dünne Mädchen: „Wie sie lernten mit dem Arsch zu klappern.“ Kate M, Paris H, Nicole R, Ally Mc… Du skribbelst hibbelig ein paar Zeilen runter: „Euer Mamma muß für euch mal Kuchen backen“. Du wachst auf. Der Boden wackelt noch immer. „Erdbeben“? Kreisch! Angriff der Riesenärsche!!
Der Bus steht. Endstation. Es ist nach Mitternacht. Du nimmst die U-Bahn Richtung Innenstadt. Hauptbahnhof raus. Diesmal säuselt hier nicht ‚Best of Klassik’, als du die Rolltreppe verläßt, sondern ein aufgekratztes Liebeslied. Irgendwas über „Das allererste Mal als ich dich sah“. Du denkst: Kleine Taschenlampe brennt wieder. Nena und Markus. Die Kids waren in Ordnung. Heute: Renz/La Hengst. Ein Power Pop Paradies für 2. La-la-love plus 1. Ein Blue Eyed Soul Schlager für den Moment, wenn der Big Bang passiert. (Notiz: Ringo fragen, ob Keith Moon einen Sohn hat, der hier mittrommelt?)
Du kommst an. Der Kunsttempel. Ziemlich viele Stundenten hier. Erstsemester. Kein Mensch auf der Tanzfläche um 2 Uhr nachts? Die Musik ist viel zu laut. „Der beste Rapper Deutschlands ist offensichtlich Ich. Ich brauch mich nur zu räuspern, schon klingt’s wie’n Gedicht“. Eine reine Schutzbehauptung von dem Sänger. Sein Teutsch so falsch, wie das Tuning der Gitarren. Redet von Rap und feiert eine größenwahnsinnige Psychodelic-Ego Party. Singt aber durchweg. Tolle Idee. „Könnt ihr mir die Medikamente geben, Gott, was für ein schönes Leben.“ And the college boys go: „Na-na-na-na-naa. Na-na-na-na-naaaa!“
Weg hier. Zu Fuß. Im ersten Stock eines gelben Klinkerbaus steht ein Fenster offen. Ein Paar streitet. Er: „Ich laß dich nicht los!“. Sie: „Ich liebe dich nicht!“ Du fantasierst. Amour verrückt? Ihre Stimme erstickt. Modern Stalking? Eine Mörderballade für die neuen 20er Jahre: Beton und Finkenauer heulen den Todesmond an, wie einst schon Hölzel, Cave & Morrison. Es spielt das Wudan Soul Orchester unter der Leitung von Sir Isaac Hayes. Wo ist Kylie, wenn man sie braucht?
Du steuerst eine Kneipe an. Die Sektflaschen Fenster Deko rührt dich. Aus der Pinte gegenüber stolpert eine halbe Fußballmannschaft in blauen Arbeitsanzügen. Beim nächsten Laternenpfahl halten sie an und heben Schnaps- und Bierflaschen wie Mikrophone zum Mund. Wunderschöne Musik entweicht ihren unrasierten Hälsen. Ein mehrstimmiger, gurgelnder Harmoniegesang erfüllt die Luft. „Wir stechen das Gemüse im Spargelfeld, und sammeln Plastiktüten auf der Love Parade, wir schrubben Bahnhofsklos und ihr seid ahnungslos, denn wenn ihr zum Golfen geht, bumsen wir Eure Frauen.“ Das ist Doo Wop in Hamburg. Der „Ein Euro Blues“.
Sonntag Morgen.
Es dämmert. Zu früh für den Reformations-Gottesdienst. Die Tür zur Seemannskirche steht offen. Orgelmusik. Du steckst den Kopf zur Tür hinein. Nichts zu sehen, aber ein einzelner Mensch singt wie entrückt: „Es gab mal einen großen Sänger, die Engel waren blaß vor Neid, er hat sich mit den Jahr’n verändert, die Nasenflügel eingeschneit. Sein Vater, der war schon länger diese Eskapaden leid, da gerieten die beiden Männer mordsmäßig in Streit.“ Es geht um Marvin Gaye, das wird dir sofort klar. Der Orgelspieler, das wärst gerne du, denkst du, als dir eine Träne durch ein Gesicht kullert, das im Fensterglas wie das von Brian Wilson aussieht… „Marvin, hörst du mich?“
Zu spät, denkst du. Du bist ja vor drei Jahren ausgetreten aus dem Laden.
Und Jesus ist richtig sauer.
Epilog
Während du schon schläfst, erhebt sich der unbekannte Sänger von seinem Schemel vor der großen Kircheorgel und geht hinüber zur Wendeltreppe, die auf die Kanzel führt, von wo in etwa einer Stunde der Gemeindepfarrer seine Schäfchen zählen wird. In beiden Händen trägt er schwere Blitze, wie griechische Götter sie wohl schmeissen würden, wanderten sie noch unter uns. Gleich wird er sie in Worte verwandeln und hinunter auf die leeren Bänke schmettern, so schnell wie Kugeln aus einer „Automatikpistole“ : „Leute seht ihr das auch so, dann hebt eure Faust hoch! Verdammt noch mal, es geht nicht nur um Kohle und Autos! Sie reden von Hass, aber wir wollen Frieden. Sie ziehn in den Krieg, Alter, laßt uns zufrieden. Leute, seht ihr das auch so?“